-Kapitel 1 -
Patrick
Sanders stieg aus seinem Auto, strich seinen Anzug glatt und seufzte. Er wusste
nicht, was er heute anziehen sollte. Alltagskleidung schien ihm unangebracht,
ein Anzug scheinfromm. Er hatte sich aber dennoch für den Anzug entschieden, um
zumindest Respekt zu zeigen und dem Verstorbenen Ehre entgegen zu bringen.
Er kannte Leutnant Hauser nicht gut. Zumindest nicht gut genug, um ihn als Freund zu bezeichnen.
Ein- oder zweimal wurde er von ihm um Rat gefragt und man sah sich ab und zu in
der Mittagspause, aber auch da verlief ihre Kommunikation auf oberflächlicher
Ebene. Trotzdem ist es aber natürlich immer schockierend, wenn man einen
Kollegen verliert. Und dann auch noch der erste, seit seiner Verlegung in die
Schweiz.
Er merkte,
dass er immer noch vor seinem Auto stand und zwang seine Beine, sich zu
bewegen. Er war neugierig, wie sich seine Schweizer Kollegen verhielten. Es war
keine angenehme Art der Neugierde, er hätte gut und gerne darauf verzichten
können, aber sie war trotzdem gross. Auch das war ein Teil seines Wesens.
Wahrscheinlich sogar ein bedeutender in anbetracht seines Berufes. Er
analysierte Menschen, er nahm ihre Reaktionen und Gefühle stärker wahr als die
meisten anderen. Schweizer sind sehr reservierte Menschen. Sie sind im Allgemeinen
sehr hilfsbereit und zuvorkommend, herzlich und einfühlsam, aber sie zeigen
ihre Gefühle nur sehr selten.
Als er die
vielen Treppen des Luzerner Agency Departments hochstieg, ging ihm nochmals das
Telefonat eine Stunde zuvor durch den Kopf.
Er hatte
etwas Mühe mit seinem neuen Handy. So ging es eine Weile, bis er den Anruf aus der Zentrale des LAD
entgegennehmen konnte. Er lachte als er sagte: „Sanders hier, sorry, ich habs
nicht so mit eurer Technik“. Natürlich stimmte das nicht. Er hatte eigentlich
viel übrig für technische Dinge und sie war nicht anders als jene in den
Staaten. „Tut mir leid sie zu stören, Mr. Sanders“ erklang eine sanfte Stimme
aus dem Hörer, „aber ich muss sie in die Zentrale bitten." Er erkannte
Jessica, die Sekretärin vom Chef "Leutnant Stefan Hauser wurde heute Nacht
tot aufgefunden. Mehr darf ich ihnen leider nicht sagen. Ihr Abteilungsleiter
hat umgehend eine Sitzung einberufen. Sie sollten so schnell wie möglich
kommen“. Seine Gedanken spielten verrückt. Er wollte Fragen stellen, dutzende
von Fragen. Warum? Wer? Wann? Wo? „In Ordnung, ich beeile mich!“ Seine Antwort
klang nüchtern.
Er legte die
Hand auf den Türgriff, atmete tief durch und versuchte sich darauf
vorzubereiten, was ihn gleich erwarten würde. Das blanke Chaos? Unendliche
Trauer? Schock? Angst? Er stellte sich auf vieles ein, aber nicht auf das, was
er vorfand; er starrte in einen beinahe
menschenleeren Raum. Die vielen Bürotische waren tadellos aufgeräumt und
verrieten nichts von einer Tragödie. Einzig Jessica sass wie gewohnt an ihrem
Tisch neben dem einzigen abgetrennten Büro des Raumes. Als sie ihn ansah,
bemerkte er, wie mitgenommen sie aussah. „Wo sind denn alle?“ er bemühte sich
um eine sanfte Stimme. „Im Sitzungszimmer im Fünften, sie warten nur noch auf
sie!“ ihre Antwort wirkte kraftlos. Es ist der erste Mord an einem Mitarbeiter
des LAD seit ihrer Gründung vor zwei Jahren, sie weiss nicht, wie sie damit
umgehen soll. Halt, woher weiss ich, dass
es ein Mord war? Warum sonst die Geheimhaltung am Telefon? Warum sonst die
dringliche Sitzung? Seine Intuition leitete ihn meist richtig, auch wenn er
sich oft nicht gleich bewusst war, weswegen.
Er beeilte
sich, denn er hasste es, Letzter zu sein. Er versuchte stets, zu den Ersten zu
gehören, damit er die Leute studieren konnte. In seinem Glauben ist er stets im
Vorteil, wenn er die Stimmung in ihrer Entstehung wahrnehmen und sich an die
Räumlichkeiten gewöhnen kann. Wenn er sich wohlfühlt, läuft er zu hochform auf.
Heute wird
dies nicht möglich sein. Er erreichte, leicht ausser Atem, den fünften Stock
und gab sich wiederum einen kurzen Augenblick Zeit um sich zu sammeln, dann öffnete
er die Türe. Das ganze Stockwerk war ein einziger grosser Raum mit verschiedenen
Tischen und sehr vielen Stühlen und diente sowohl als Sitzungszimmer sowie als
Pausenraum. Der Raum war so gestuhlt, dass die Abteilungs- und Teamleiter den
restlichen Mitarbeitern gegenübersassen.
Es herrschte
eine seltsame Stimmung. Er hatte Mühe, die Gesichter zu deuten, die sich
unmittelbar zu ihm umdrehten.
Sie
enthielten eine gewisse Spannung. Er versuchte nicht weiter darüber
nachzudenken, entschuldigte sich für sein spätes Eintreffen und suchte seinen
Platz, welcher neben seinem Abteilungsleiter am anderen Ende des Raumes lag.
Das ganze LAD
war versammelt. Es gab selten Anlässe, welche die Anwesenheit aller drei
Abteilungen erforderte, doch heute war kein normaler Anlass. Die drei
Abteilungsleiter sahen sich an, als wären sie unentschlossen wer das Wort
ergreifen sollte. Schliesslich erhob sich Captain Rast, der für die Abteilung
Mord und Drohung verantwortlich ist und begann mit ernster Stimme:“ Heute Nacht
ist etwas schreckliches passiert. Lt. Stefan Hauser wurde in der still
gelegten Kaserne auf der Luzerner Allmend tot aufgefunden. Man hat ihn erschossen.
Das sind die Fakten, welche die meisten von euch bereits kennen. Lt. Hauser
war allerdings nicht das einzige Opfer. Auch seine 12- Jährige Tochter wurde,
ebenfalls erschossen, tot in der Kaserne aufgefunden. Von einem Mord mit
anschliessendem Selbstmord wird nicht ausgegangen, da die Waffe des Lt. nicht
benutzt wurde. Zurzeit ist ein Team der Stadtpolizei mit ihren Spezialisten
sowie zwei Leute von uns vor Ort. Wir werden eine Gruppe zusammenstellen; je
zwei Agenten aus jeder Abteilung. Alles Weitere werdet ihr durch eure
Abteilungsleiter zu gegebener Zeit erfahren. Die Beerdigung wird am kommenden
Sonntag stattfinden. Patrick Sanders, Sandra Honauer, Jong Chang und Martin
Aregger mögen bitte zur weiteren Besprechung hier bleiben.“ Er legte eine kurze
Pause ein und schien jeden einzelnen Mitarbeiter in diesem Raum für einen
kurzen Augenblick mit einer Mischung aus Mitgefühl und Trotz anzuschauen.“ Der
Verlust ist eine Tragödie, aber wir sind Profis, das können wir uns jetzt
beweisen. Zurück an die Arbeit.“
Widerwillig
erhoben sich die knapp 70 Angestellten und begannen langsam, den Raum zu
verlassen. Die Stimmung war am Boden. So Niedergeschlagen hatte Sanders die
sonst so nüchternen Schweizer noch nie erlebt. Er konnte noch nicht ganz
beurteilen, ob es blosse Trauer oder auch Angst war. Angst, weil ihnen durch
diesen Mord das erste Mal richtig klar gemacht wurde, dass ihr Job auch Gefahren
mit sich bringt. Gefahr für jeden von Ihnen und vor allem auch für ihre
Familie. Viele meiner Kollegen werden
schlaflose Nächte erdulden, solange wir den Fall nicht gelöst haben!
Er bemerkte, dass
eine Mitarbeiterin ihn musterte, als sie den Raum verliess. Es war allerdings
nicht einfach nur eine Begutachtung, es lag eine Art von Hass in ihrem Gesicht,
dass es ihm kalt den Rücken runterlief. Sie war nicht die einzige. Es wurden
immer mehr und in jedem Gesicht war diese Abneigung deutlich zu erkennen. Verdammt. Was ist hier los?
Er war froh,
als sich der Raum geleehrt hatte. Er seufzte und wandte sich auch sogleich seiem
Captain zu. Dieser sah ihn unsicher an und flüsterte: "Du steckst in
grossen Schwierigkeiten, Patrick"...
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