Er küsste sie. Er küsste sie nochmal und nochmal. Immer
wieder. Sie heulte hemmungslos und auch ihm lief eine Träne die Wange hinunter.
Eine zweite. Es ist so hart.
Sie riss sich von ihm los und rannte zum Taxi. Kurz vor
ihrem Ziel blieb sie abrupt stehen und drehte sich noch einmal um, zwang sich
zu einem kraftlosen, aber optimistischen Lächeln und formte ihre Lippen zu
einem stummen „Ich liebe Dich“. Er versuchte ebenfalls zu lächeln, er wollte es
so sehr. Er wollte bei ihr einen guten letzten Eindruck hinterlassen.
Es gelang ihm nicht.
Langsam streckte er seine Hand aus, als würde er nach ihr
greifen wollen. Ihre Gesichtszüge wurden wieder trauriger und sie taumelte die
letzten Schritte rückwärts zum Taxi, als wolle sie seiner Hand entfliehen.
Schliesslich stieg sie ein und verliess ihn. Endgültig. Für immer.
Er fühlte sich einsam. Abgekapselt von der Welt, die
weiterhin funktionierte wie eh und je. Aber er, er funktionierte gerade nicht.
Ihm fehlte der Antrieb. Ihm fehlte seine Freundin. Ihm fehlte mindestens eine
ganze Hälfte von sich selber. Die bessere Hälfte.
Er wusste nicht, wie lange er da stehen blieb und ins leere
starrte oder wie viele Leute ihn beobachteten. Er verlor jegliches Gefühl für
Raum und Zeit und es war ihm auch völlig egal, denn all dieser Raum und all
diese Zeit würde in Zukunft ohne sie sein.
Nach einiger Zeit löste er sich von seinem Platz. Seine
Augen brannten. Er lief durch die
Gegend. Orientierungslos. Ziellos. Nicht in blinder Panik, sondern in tiefer
Hoffnungslosigkeit.
Ein paar Stunden später hatte er sich etwas gesammelt und
steuerte auf seinen Lieblingsplatz zu. Ein Aussichtspunkt, mitten in Luzern mit
Sicht auf den See, die Berge und die Stadt. Eine kleine Mauer, die ihm nicht
höher als bis zum Knie reichte, grenzte den Platz ein. Für ihn war die Mauer
allerdings meterhoch. Durchsichtig, imaginär, aber unüberwindbar für all seine
Sorgen und Probleme.
Normalerweise setzte er sich auf die steinerne Bank, die bewacht
von zwei grossen, stämmigen Birken in der Mitte des Platzes steht. Doch heute
war kein normaler Tag. Kein normales Problem beschäftigte ihn. Kein kurzes
Durchatmen würde ihm Hoffnung geben.
Er suchte sich einen Platz am Rand und setzte sich auf die
Mauer. Starrte in die Ferne, ohne etwas Bestimmtes zu beobachten. Dann sah er auf
seine Füsse und den metertiefen Abgrund, der sich darunter verbarg. Ohne diese
feige Art der Selbstzerstörung wirklich in Betracht zu ziehen, war ihm dieser
verlockende Ausweg nur zu gut bewusst.
Er zwang sich, den Abgrund zu ignorieren und sich dem Himmel
zuzuwenden. Hoffnung kommt von oben. Gerade
als er sich auf die Mauer legen und mit der linken Hand seinen Stellungswechsel
abstützen wollte, kippte einer der Decksteine der Mauer weg und fiel gemeinsam
mit ihm rückwärts zu Boden. Er fluchte lauthals, klopfte sich den Dreck von den
Kleidern und stand auf. Als er den Stein wieder an seinen Bestimmungsort legen
wollte, fiel es ihm auf. Ein brauner Umschlag, (muss unter dem Stein gelegen haben) auf dem gross das Datum von vor
zwei Tagen zu lesen war. Ob der für
jemanden bestimmt ist?
Er konnte nicht wiederstehen und öffnete Ihn.
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